Sie finden hier Presseberichte zu unserer letzten Produktion "King´s Fate - König Ödipus auf dem Hungerhügel".
Weitere Informationen zum Projekt und Berichte zu anderen Produktionen finden Sie auch im Archiv.
Aachener Zeitung/ Aachener Nachrichten
03.04.2013
Kultur
Ein Stadtteil denkt über sich nach
Theater Aachen und Theaterausbruch spielen „Ödipus“ am Kronenberg
Von Grit Schorn
Aachen. „König Ödipus auf dem Hungerhügel“ – da staunt so mancher, wie der sagenhafte König Ödipus auf Aachens „Kronenberg“
gelangt ist. Dem famosen Trio Martin Goltsch (Text und Regie), Lukas Popovic (Dramaturgie) und Brigitte Köhr (Spielpädagogik) ist es erneut gelungen, mit einer jungen Darsteller-Riege ein
faszinierendes Stadtteil-Stück auf die Bühne zu bringen. Wobei die „Bühne“ sich diesmal in der St.- Hubertus-Kirche befindet, auch bekannt als „Backenzahn“ wegen ihrer eckigen Form.
Die vierte Kooperation zwischen Theater Aachen und Theaterausbruch geht auch diesmal mitten hinein in einen wenig verwöhnten
Stadtteil – dem „Hungerhügel“, wie Kronenberg inzwischen im Volksmund genannt wird. Denn das einstige Aachener Vorzeigeviertel der sechziger Jahre wurde und wird traurigen „Schrumpfprozessen“
ausgesetzt: Die Schule ist geschlossen, die Einkaufsgalerie weicht Eigentumswohnungen, die inzwischen einzige Gaststätte kämpft ums Überleben. Dass Martin Goltsch und Co. dennoch so viele junge
und ältere „Mitspieler“ verschiedener Herkunft auf dem Kronenberg gefunden haben, spricht für die Menschen auf dem „Hungerhügel“.
Was hat das alles mit dem tragischen Schicksal von König Ödipus zu tun, der als Säugling ausgesetzt wurde, weil er einem
Orakelspruch zufolge später den eigenen Vater töten und seine Mutter heiraten werde? Es geht um elementare Fragen, die alle Menschen betreffen: Identität, Schicksal, Herkunft, Heimat und
Schuld.
Die in der Kirche gezeigten Videos mit Menschen aus dem Viertel sind in zahlreichen Gesprächsrunden und einem eigens
eingerichteten Stammtisch entstanden. Sehr lebendige Videos, die Geistliche ebenso wie Schüler zeigen, einen Künstler, eine Lehrkraft oder den letzten Kronenberg-Gastwirt ebenso wie Mitwirkende
im Stück. Sie alle treiben die Handlung voran – mit Aussagen, die das Stück widerspiegelt: über Kind-Eltern-Beziehung, Fremdheit, Angst vor Ausstoßung und Versagen. Aber mit Humor und
Menschlichkeit machen die Äußerungen auch viel Mut.
Fesselnde Spielszenen
Der „Hungerhügel“ von Ödipus sitzt in der Seele. Erst langsam erkennt der König, der Theben triumphal von der Sphinx befreit hat
und Iokaste zur Frau erhält, dass er als Kleinkind adoptiert wurde und später als junger Mann seinen ihm unbekannten Vater Laios in Notwehr tötete. Laios‘ Witwe Iokaste ist ahnungslos Ödipus‘
Frau geworden. In kleinen, aber fesselnden Spielszenen zeigen die jungen Mitspieler, wie wichtig Herkunft und Wurzeln auch heute sind – besonders, wenn man sich fremd in der eigenen Familie
fühlt.
Die Video-Installationen von Luca Fois offenbaren Feuer, Blut und Verzweiflung, immer bedrängender wird das tragische Schicksal
des Königs („King‘s Fate“) deutlich. Beeindruckend: die Szenen mit dem Seher Teiresias, der Ödipus seine wahre Herkunft offenbart. Ebenso erschütternd: Iokaste als liebende Frau, die lange die
Wahrheit nicht erkennen will. Sie hat unwissentlich ihren eigenen Sohn geheiratet, ihre gemeinsamen Kinder sind in „Blutschande“ entstanden.
Die mitreißende Regie von Martin Goltsch lässt gleich mehrere Mitspieler als Ödipus auftreten: Angst und Grauen des Königs werden
vervielfältigt. Mit dabei: Willi Ezilius, der schon mehrfach bei diesen Stadtteil-Projekten mitwirkte. Begeisterung und brausender Applaus in der Kirche für die berührende Aufführung, die Motive
von Sophokles‘ „Ödipus“ so intensiv mit Spielszenen und Interview-Videos verbindet.
Weitere Aufführungen von „King‘s Fate – König Ödipus auf dem Hungerhügel“, Stück von Martin Goltsch, gibt es am 4. Mai (20 Uhr)
und am 5. Mai (18 Uhr) sowie am 8., 10., 11., 24., 25., 29. und 31. Mai, jeweils 20 Uhr, in der Kirche St. Hubertus in Aachen, Händelstraße. Karten in allen Zweigstellen Ihrer
Tageszeitung.
Theater Pur in NRW
Mai 2013
Stadtteilorakel
Treffsichere, assoziativ aus der Jetzt-Zeit entwickelte Szenen
von Andreas Falentin
Kronenberg, im Volksmund „Hungerhügel“ genannt, ist ein traditioneller Arme-Leute-Stadtteil an der westlichen Peripherie der
Aachener Innenstadt, in Sichtweite der niederländischen Grenze. In den 60erJahren etablierte die Stadt hier ein Modellprojekt, schuf bezahlbaren Wohnraum für Migranten und sozial Schwache mit
eigener Infrastruktur. Mittlerweile ist die Schule geschlossen und die Kirche Teil einer Großgemeinde geworden. Das Einkaufszentrum hat man abgerissen und stellt Eigentumswohnungen hin. Die alten
Mietshäuser riechen nach Verfall.
In diesem städtebaulichen Kleinklima ereignet sich das diesjährige Stadtteilprojekt des Theaters Aachen, zum vierten Mal in
Zusammenarbeit mit dem THEATERausBruch, einer stets on Location produzierenden Aktionstheatergruppe, die vordringlich mit Laienspielern arbeitet.
Man begann mit einer mehrmonatigen Recherche, befragte Menschen aus dem Viertel – den letzten Kneipenwirt, Geistliche, Schüler,
einen Künstler u. a. – über ihre Lebensumstände und, buchstäblich, über Gott und die Welt. Zu dieser Materialsammlung suchten dann Martin Goltsch, Regisseur und Kopf von THEATERausBruch, Lukas
Popovic, Dramaturg am Aachener Theater und die Theaterpädagogin eine passende Form bzw. Fabel und wurden überraschend in der griechischen Antike fündig, bei Sophokles‘ Ödipus.
Das Ergebnis der langfristigen Recherche- und Probenarbeit nennt sich King’s Fate und wird im „Backenzahn“, der wegen ihrer
ulkigen 60erJahre-Bauweise im Volksmund so genannten Hubertuskirche auf Kronenberg gespielt.
Der Altarraum ist leergeräumt. Man hat eine kleine Bühne installiert. Bespielt wird aber auch der Raum dahinter und die Bänke
drumherum. Auf die weiten, leeren Waschbetonwände werden immer wieder Textpassagen und weidende Schafe projiziert und, zu Beginn und zwischen den Szenenkomplexen, ausgewählte Ausschnitte aus den
filmischen Protokollen der erwähnten Gespräche. Deren Stoßrichtung ist die größte Überraschung des Abends. Es wird hier nicht über die Verödung des Stadtteils geklagt oder die Lokalpolitik
angeklagt. Und es wird schon gar kein solidarischer Geist der Sozialgemeinschaft beschworen (was die Aufführung als Ganzes betrachtet auf schöne, unaufdringliche Weise tut). Die Kronenberger
zielen höher und niedriger. Das ökonomisch dominierte System klagen sie an, die Entfernung politischer Prozesse von den Menschen. Und sie decken ihre einzige Strategie auf: individuelle Stärke.
Ziele muss man haben, wissen, wer man ist, wissen, woher man kommt. Dann hat man eine Chance „gegen“ Leben und Schicksal. Eine erschütternde Diagnose, die zu Ödipus natürlich recht gut
passt.
In der ersten Hälfte der Aufführung wird die Vorgeschichte erzählt, in kleinen, treffsicheren, assoziativ aus der Jetzt-Zeit
entwickelten Szenen. Eine junge Frau hat ein Kind auf dem Spielplatz gefunden und will es behalten, auch um ihre Ehe zu retten. Eine andere junge Frau hat einen positiven Schwangerschaftstest
gemacht. Der Mann will das Kind nicht. Die Beziehung droht zu zerbrechen. Mit dem Kurzdialog:
SOHN: Ich halte das nicht mehr aus. Ich muss das Orakel fragen.
MUTTER (zum Vater): Vielleicht müssen wir mit dem Jungen doch mal zum Therapeuten.
katapultiert sich das Spiel in die Antike, mit einer mehrsprachig ausgeflippten Delphi-Fantasie.
Nach der Pause gibt es dann Sophokles‘ Stück, in neuzeitlicher Paraphrase in „verständlicher“ Sprache. Als Ödipus wechseln sich
mehrere Darsteller ab. Die Geschichte vermittelt sich, der allgemeine Egoismus wird akzentuiert, die Chortexte entfalten archaische Wucht. Dennoch fehlt hier etwas, nämlich die
Selbstverständlichkeit, mit der die Laiendarsteller im ersten Teil auf die Bühne gegangen sind. Jetzt machen sie „Kunst“. Jetzt müssen sie eine fremde Form füllen, in der man auch ertrinken kann.
Diese Vorgabe ist doch ein wenig zu groß, schmälert den Eindruck einer wichtigen, bewegenden Aufführung aber nur minimal.
Die Deutsche Bühne
Ausgabe 06/2013
Stillstand in der Mitte
In Aachen sucht das Spielzeitmotto nach „Bewegung in der Mitte“. Die Nähe des Theaters zur Mitte der Stadt ist mehr als eine
bloße Behauptung, auch wenn sich der Blickwinkel der Zuschauer dabei vielleicht nicht immer erweitert.
Von Andreas Valentin
„Bewegung in der Mitte“ lautet das Spielzeitmotto des Aachener Theaters. Den spürbaren Erosionsprozess einer wesentlichen
gesellschaftlichen Gruppe wollte und will das Team um Intendant Michael Schmitz-Aufterbeck produktiv betrachten, mit Verlusten und Veränderungen, mit Armut und Angst, ganz konkret in Aachen. Und
das sogar spartenübergreifend. Das Theater will sein Publikum berühren, für Gesellschaftliches und Politisches sensibilisieren, vielleicht sogar aufrütteln und trotzdem unterhalten. Lachen hilft,
das Leben zu meistern, und viele deutsche Stadttheater müssen ständig ihre Existenz rechtfertigen, um zumindest ihre nähere Zukunft auskömmlich zu sichern. Dafür müssen sie vor allem voll sein,
auch in Aachen. Schafft man das mit einem derart anspruchsvollen Konzept? Und erreicht man die Menschen übers Kultur-Konsumieren hinaus? (...)
„Das merkst du schon, dass das was kostet. So allein.“
Szenenwechsel. Kronenberg, genannt „Hungerhügel“, ein Stadtteil an der westlichen Peripherie der City, hochgezogen in den 1960ern
als frühes Vorzeige-Multi-Kulti-Projekt. Schöne Wohnungen hat man für die gebaut, die wirklich welche bräuchten, damals. Mit Infrastruktur. Das Einkaufszentrum ist längst abgerissen, die Schule
geschlossen. Die Miethäuser verfallen, wenn auch langsam. In der Stadtteilkirhce, die wegen ihrer skurrilen Silhouette „Backenzahn“ genannt wird, ereignet sich „King´s Fate“, das diesjährige
Außenprojekt des Aachener Theaters, ein Rechercheprojekt mit Laienschauspielern in Koproduktion mit dem THEATERausBruch unter der Federführung von Martin Goltsch.
Über einen längeren Zeitraum wurden Gespräche mit Kronenbergern geführt, buchstäblich über Gott und die Welt. Das Ergebnis
verblüfft: Wieder verengt sich der Blick. Die Gespräche kreisen nicht ums soziale und ökonomische Kleinklima, sondern um Herkunft und Identität als Waffen, um das immer komplizierter werdende
Leben zu verstehen. Das Individuum ist immer allein, höchstens gestützt von wenigen anderen, nie von der Sozial- oder gar Solidargemeinschaft. Für diesen in seiner Klarheit erschütternden Befund
gibt der „Ödipus“-Stoff eine fast perfekte Folie ab. Im ersten Teil wird die Vorgeschichte erzählt als von Handlungsmotiven ausgelöste Phantasiereise ins Heute, immer wieder konterkariert mit
Interviewfetzen, die auf die Waschbetonwände des 60er-jahre-Baus projiziert werden. Nach der Pause gibt es eine kluge, wenn auch ein wenig langatmige Paraphrase des Sophokles-Stücks. Die 21
Darsteller, quer durch alle Altersschichten, arbeiten fast drei Stunden lang diszipliniert und leidenschaftlich und entlassen den Zuschauer nachdenklich in die Kronenberger Nacht.
(...)
03. 06.2013
Aachener Zeitung - Stadt / Lokales / Leserbriefe
Eindrucksvoller Theaterabend
Gerda Steininger schreibt zum Theaterprojekt „King‘s Fate“ am Kronenberg:
Welch ein eindrucksvoller Theaterabend! Zu der Inszenierung von „King’s Fate“ kann man den Regisseuren, den Schauspielern und den
Laien, die an diesem außergewöhnlichen Vorhaben mitwirkten, nur gratulieren. Es war ein Wagnis, die Sagengestalt des Ödipus und seine mythische Welt in einem modernen Drama auf unsere heutige
Zeit und Umgebung und konkret auf den Klein-Kosmos am Kronenberg zu übertragen. Den Regisseuren ist es gelungen, durch eine Mischung der Szenerien, die sich zwischen lebendigem Spiel und
nachdenklichen Interviews, zwischen sparsamer Kulisse und übergroßen Filmaufnahmen mit faszinierenden Bildern bewegen, ein Spannungsfeld zu schaffen, das den Zuschauer in jeder Minute fesselt.
Begleitend zu dem Geschehen auf der Bühne wird der Mythos der antiken Ödipus-Dichtung in beeindruckender Weise vorgetragen, so dass die Parallelen zwischen dem Heute und dem Damals sehr deutlich
hervortreten: Die Tragik im Leben des nicht gewollten Kindes, die Frage nach dem unbekannten Vater, die Suche nach der eigenen Identität, die Auseinandersetzung mit dem Schicksal und dessen
Ungerechtigkeit, mit Schuld und Sühne… Für die Schüler und die jungen Menschen unter den Zuschauern wurde damit das klassische Drama des Ödipus lebendig und gleichzeitig als Theater attraktiv.
Unser Ziel als Eltern oder Lehrer ist es, der nachfolgenden Generation Bildung zu vermitteln, traditionelle Werte neu zu definieren, das Alte oder gar die Antike zu verstehen und zu
interpretieren. So, wie es hier in diesem Schauspiel geschieht, funktioniert das! Die Schüler werden das Engagement, das sie entwickelt haben, und die Intensität ihres Spiels nie vergessen. Und
sie werden ebenso wenig die Inhalte des literarischen Vorbildes und die Botschaft, die hinter der neu geschaffenen Präsentation steht, vergessen. Für mich als ehemalige Lehrerin der Schule am
Kronenberg war das Theaterprojekt besonders beeindruckend, weil in dem Miteinander von Jugendlichen aus verschiedenen Ländern, Laiendarstellern aus dem Stadtviertel und Theater-Profis diese sehr
überzeugende Aufführung gestaltet wurde. So kann Motivation geschaffen werden, so kann Integration gelingen.
Mo, 29.05.2013
Aachener Zeitung - Stadt / Lokales/ Leserbriefe
Großartige Theateraufführung
Zur Aufführung „König Ödipus auf dem Kronenberg“ schreibt Helga Pennartz:
Welch ein Glück für den Kronenberg, dass das erfolgreiche Aachener Projektteam TheaterAusbruch mit Martin Goltsch an der Spitze
die klassische Tragödie „Ödipus“ als Stadtteilstück im „Backenzahn“ zur Aufführung gebracht hat. Das Ergebnis ist faszinierend. Diese eindrucksvolle Inszenierung eines modernen Bühnenstücks ist
großartig und kann mit den Aufführungen eines professionellen Theaters konkurrieren. Die Mischung aus Interview und szenischer Darstellung durch die Laienspieler wird begleitet von den
Originaltexten der Antike. Die Laiendarsteller überzeugen durch außergewöhnliche Leistungen. Die Zuschauer sind von der ersten bis zur letzten Minute gefesselt. Die Darsteller, darunter auch
viele Schüler und Schülerinnen, ernten nicht nur ihren wohl verdienten Applaus.
Sie haben sich durch diese Arbeit persönlich weiter entwickelt, enorm an Selbstbewusstsein gewonnen, Einblicke in literarische
Arbeit, in Aufbau und Dramaturgie des Schauspiels erhalten.
Wenn man Engagement und Aufwand betrachtet, die dieser Leistung vorausgingen, dann ist es sehr zu bedauern, dass die Präsentation
nur relativ kurze Zeit angeboten werden kann. Zu wünschen wäre, dass diese hervorragende Theaterdarbietung zu einer späteren Zeit für weitere Kulturinteressierte und andere Schulen angeboten
werden könnte.
Klenkes
-Aachener Stadtmagazin-
Ausgabe Mai 2013
König Ödipus auf dem „Hungerhügel“
Nach „Die Räuber“, „Romeo und Julia“ und „Baal“ ist das Stück „Kings Fate“ bereits die vierte Produktion des
THEATERausBruch.
Eine Kneipe ist den Aachener Bürgern im Staddteil Kronenberg noch als sozialer Knotenpunkt geblieben. Da, wo früher zumindest eine
Einkaufsgalerie zum bummeln eingeladen hat, steht jetzt ein riesiger Gebäudekomplex aus Beton. Die Hauptschule steht vor der Schließung, genau wie die Apotheke – und die Kneipe übrigens
auch.
Was bleibt den Menschen auf dem „Hungerhügel“, wie der Kronenberg in den 60er Jahren wegen der großen Armutsdichte genannt wurde,
noch? „Ich war sehr überrascht, aber auch froh, dass sich das Stadttheater für eine Produktion in unserem Viertel und dieser einmaligen Kulisse entschieden hat“, erzählt Pfarrer Andreas Mauritz
von der Pfarrei St. Jakob.
Vor ungefähr zwei Jahren erreichte den Pfarrer der St. Hubertus Kirche, im Volksmund besser bekannt als „Backenzahn“, und die
Leiterin des direkt hinter der Kirche gelegenden Kinder- und Jugendzentrums, Christel Schäfer, eine unverhoffte Anfrage.
„So eine Chance bekommt man nie wieder“
„Wir wussten natürlich direkt, dass das eine einmalige Chance ist. Die bekommt man vielleicht nie wieder“, beschreibt Christel
Schäfer ihre Gedanken nach dem ersten Kontakt mit Martin Goltsch vom THEATERausBruch.
Das THEATERausBruch hat sich zum Ziel gesetzt Theaterproduktionen, inszeniert mit Laien, in verschiedenen Aachener Stadtteilen zu
erarbeiten. Ihre vierte Produktion, „Kings Fate“, die von dem mit sich selbst im Konflikt stehenden König Ödipus handelt, führt sie nun zum Kronenberg.
Ein Stadtteil auf der Suche
Genau da besteht laut Lukas Popovic, der die Produktion stellvertretend für das Aachener Stadttheater unterstützt, der Reiz am
Spielort Kronenberg. „Genau wie König Ödipus, befinden sich auch die Menschen hier auf dem Kronenberg in einer Identitätskrise. Wo führt der Weg hin, wie geht es hier weiter?“
Fragen, die Popovic und Martin Goltsch in ihren Vorbereitungen oft genug gehört haben. Ein halbes Jahr haben sie sich mit den
Menschen im Viertel beschäftigt, Interviews geführt, an Türen geklingelt, Schicksalen gelauscht und versucht, die unruhige Atmosphäre auf dem „Hungerhügel“ zu verstehen.
„Den Menschen hier ist klar, dass sie in einem Problemviertel wohnen“, reflektiert Popovic die Recherche, „Genau deshalb freuen
sie sich genau so wie wir, dass sie jetzt die Möglichkeit haben, sich an diesem Projekt zu beteiligen.“ so der 69-Jährige weiter.
Große Beteiligung
Rund 110 Menschen aus allen Altersgruppen haben sich während der zwei Jahre engagiert. „Da sind Menschen aufeinander getroffen, die sich so niemals getroffen hätten“, sagt Martin Goltsch, der schon jetzt auf die Premiere am 30. April 2013 hinfiebert. „Die Kulisse der Kirche hat einen besonderen Effekt. Sie wird von Anfang an ihre ganz eigene Geschichte erzählen“, ist sich der Regisseur sicher.
Und auch die Figur des Ödipus wird einen besonderen Reiz haben, durch eine moderne, realitätsnahe Interpretation: „Ödipus wird
verschnitten, improvisiert, mit den echten Geschichten und Schicksalen der Kronenberger“, kündigt Popovic an. \ BS
Vorstellungstermine
Premiere: 30.04.2013, außerdem: 04., 05., 08., 10., 11., 24., 25., 29., und 31. Mai 2013, sowie: 01. Juni 2013
Moviebeta
Aachener Stadt- und Kulturmagazin
Ausgabe Mai 3013
Freistil: Folge 8
Martin Goltsch und König Ödipus
Samstagmittag, kurz vor der Kostümprobe mit dem Ensemble „Projekt A“ legt Martin Goltsch einen Zwischenstopp im frisch renovierten
Last Exit ein. Bei Milchkaffee und alkoholfreiem Weizen klären wir zunächst die Begriffe: „Oft werde ich gefragt, was THEATERausBruch eigentlich sei: Mehr eine Idee als eine Institution“,
erläutert er. „Ich habe es in den Neunzigerjahren ins Leben gerufen, um das Theater machen zu können, das mich interessiert – mit Leuten, die an meiner Arbeit Interesse haben.“ Eine Arbeit, die
vor allem am künstlerischen Prozess und aus dem bürgerlichen Bild von Theater ausbricht.
Neben eigenen Projekten gibt es seit 2006 eine Kooperation mit dem Theater Aachen: das „Projekt A“, bei dem – nun bereits zum
vierten Mal – Stücke an besonderen Spielorten in Aachener Stadtteilen aufgeführt werden. Nach „Die Räuber“ im Umspannwerk Rothe Erde, „Romeo und Julia“ in der Nadelfabrik im Ostviertel und „Baal“
in einem Eilendorfer Ladenlokal steht in diesem Jahr „King’s Fate – König Ödipus auf dem Hungerhügel“ im „Backenzahn“ auf dem Kronenberg an, wie immer erarbeitet mit Menschen und Institutionen
des Viertels.
Mit 21 Darstellern von 13 bis 66 Jahren – eigens in einem Bewerbungsprozess ausgewählt und in Kursen geschult – und zusammen mit
Spielpädagogin Brigitte Köhr und Dramaturg Lukas Popovic hat sich Goltsch auf die Suche gemacht. Auf die Suche nach einem Thema. Denn bevor die Textauswahl getroffen war, fanden umfangreiche
Recherchen statt in einem Bezirk, der vom Gefühl des Niedergangs geprägt scheint. „Wie in einer Identitätskrise“, analysiert er. Bei den Überlegungen für ein passendes Stück erinnerte er sich an
seine sechsmonatige Griechenlandreise auf Ödipus’ Spuren und holte die Notizen aus der Schublade. Ob dessen zerrissener Suche nach Identität war der Stoff gefunden. Goltschs Stücktext mit Motiven
aus dem Mythos und Sophokles’ „König Ödipus“ entstand dann im Prozess der Probenarbeit. Apropos: „Das Ensemble wartet!“ Der zweite Milchkaffee bleibt stehen …
Thomas Bünten
Aachener Zeitung
26.04.2013
Lokales
König Ödipus geht auf Identitätssuche
Viertes Stück im Rahmen der Kooperation von Theater „AusBruch“ und Theater Aachen mit dem Stück „Kings‘s Fate“
Von Tim Habicht
Aachen. Die Atmosphäre in Kirchenbauten ist immer etwas Besonderes. Man wird still, ruhig und nachdenklich. Nicht nur deswegen ist
der Aufführungsort des neuen Theaterstücks des Theaters „AusBruch“ in Kooperation mit dem Theater Aachen bedeutungsvoll. Denn das Stück „King‘s Fate – König Ödipus auf dem Hungerhügel“ wird in
der Kirche St. Hubertus, besser bekannt als „Backenzahn“, auf dem Kronenberg aufgeführt.
Vor dem Altar ist eine Bühne aufgebaut. Die großen, kunstvoll gestalteten Fenster sind abgedunkelt. Ein Ort der Stille, der zum
Nachdenken anregt und einen speziellen Rahmen für die insgesamt elf Aufführungen bietet. Aber auch ein Ort der Identitätssuche, die auf dem Kronenberg in den letzten Jahren immer wichtiger
geworden ist. „Als wir die Anfrage bekommen haben, das Stück im ‚Backenzahn‘ aufzuführen, waren wir zuerst etwas überrascht, aber auch sehr froh. Wir sind stolz, dass das Projekt bei und mit uns
realisiert wird“, äußert sich Pfarrer Andreas Mauritz von der Pfarrei St. Jakob. Denn die Kooperation zwischen dem Theater „AusBruch“ und dem Theater Aachen ist durch seine Projekte überregional
bekannt.
Projekt mit tollem Ruf
Vorherige Aufführungen, wie etwa „Romeo und Julia“ in der Nadelfabrik, haben dem Theaterprojekt einen tollen Ruf beschert, der bis
nach Berlin bekannt ist. „Und bei unseren Aufführungen haben wir immer Spuren hinterlassen“, weiß Martin Goltsch, der für den Text und die Inszenierung des Stückes „King‘s Fate“ verantwortlich
ist.
Im Stück selbst werden drei Ebenen dargestellt: „Die Grundlage bildet der uralte Mythos von König Ödipus. Zudem werden die realen
Geschichten der Anwohner als Folie benutzt, um aktuelle Themen darzustellen. Die dritte Ebene werden Video-Interviews mit Bewohnern des Kronenbergs sein“, beschreibt Goltsch. Doch warum
ausgerechnet der Kronenberg? „Es ist ein Viertel im Umbruch. Hier herrscht eine gewisse Untergangsstimmung. Es prallen viele unterschiedliche Strukturen aufeinander. Man spürt beinahe an jeder
Ecke den Hauch von Verfall. Das führt zu einer großen Identitätskrise im Viertel“, skizziert Goltsch. Dies passe zur Geschichte des Ödipus, der eine zerrissene Suche nach Identität
bestreite.
Dabei dürfe man allerdings kein klassisches Profi-Theater erwarten, das die Geschichte des Ödipus erzähle. „Wir sind ein
Laientheater und werden keine eindimensionale Wiedergabe des Klassikers spielen, sondern haben einen künstlerischen Anspruch. Deswegen auch die verschiedenen Ebenen, die miteinander
verschmelzen“, sagt Lukas Popovic vom Theater Aachen, der für die Dramaturgie verantwortlich ist. „Bei uns steht die konkrete Frage nach dem Menschen im Vordergrund“, so Popovic weiter. Das
Projekt soll dabei neue Möglichkeiten für das Viertel aufzeigen. Beispielsweise wie es nach der Aufführung von „Romeo und Julia“ in der Nadelfabrik passiert ist. „Durch das Theaterprojekt haben
wir am Kronenberg die Chance, zu zeigen, dass hier viel möglich ist und dass der Kronenberg ein besonderer Ort ist“, hofft Pfarrer Mauritz. Eine wichtige Rolle spiele dabei auch die Offene Tür
Kronenberg, die neben dem „Backenzahn“ einer der wenigen sozialen Treffpunkte im Viertel geblieben sei. Sie dient den Schauspielern als Maske, Rückzugsort und Theaterbesuchern in der Pause als
Café.
Christel Schäfer, Leiterin der OT und Mitspielerin im Stück, ist begeistert vom Theaterprojekt: „Uns war sofort klar, dass wir
dieses Projekt in unserem Räumen abhalten wollen. So eine Anfrage kriegt man nur einmal. Außerdem ist der Gruppenprozess aller Beteiligter, die zwischen 13 und 66 Jahre alt sind und aus den
unterschiedlichsten sozialen Schichten oder Religionen kommen, unglaublich gewesen.“
Premiere am 30. April in der Kirche St. Hubertus
Die Premiere von „King‘s Fate“ findet am 30. April in der Kirche St. Hubertus, Händelstraße 8b, statt. Weitere Termine sind der
4., 5., 8., 10., 11., 24., 25., 29., 31. Mai sowie der 1. Juni.
Tickets erhalten Sie in den Aachener Servicestellen des Zeitungsverlages im Verlagsgebäude, Dresdener Straße 3, und im Mediastore,
Großkölnstraße 56 (gegenüber der Nikolauskirche).
KirchenZeitung für das Bistum Aachen
Ausgabe 19/2013
König Ödipus auf dem Hungerhügel
Ein Theaterprojekt in der Aachener Kirche St. Hubertus betreibt kulturell inspirierte Stadtteilarbeit
Das Projekt A, eine Kooperation zwischen dem „Theaterausbruch“ und dem Theater Aachen, feierte mit „King's Fate – König Ödipus auf
dem Hungerhügel“ Premiere in der Kirche St. Hubertus.
Das markante, auffällige Kirchengebäude, das Wahrzeichen des Kronenbergs, das im Volksmund nur „St. Backenzahn“ genannt wird, sei
bestens geeignet als Aufführungsort, meint Regisseur Martin Goltsch.
Die Kirche als Ort der Sinnsuche sei ideal für die Inszenierung, in der Erfahrungen und Gefühle der Menschen aus dem Viertel im
Fokus stehen. Auf dem Kronenberg wird die Schule geschlossen, die Einkaufsgalerie ist abgerissen und wird durch einen Komplex von Eigentumswohnungen ersetzt. Die Pfarrei St. Hubertus hat ihre
Eigenständigkeit nach der Fusion zur Großpfarrei St. Jakob verloren. Sogar die einzige verbliebene Gaststätte kämpft ums Überleben.
Die Frage, wie ein Stadtteil in dieser Situation als vitaler und urbaner Raum überleben kann, wirft das Theaterstück mit insgesamt
23 Schauspielern im Alter von 13 bis 67 Jahren auf. Die Laien haben unter professioneller Betreuung vor Ort geprobt und wurden von der Gemeinde mit offenen Armen empfangen.
„Ich war schnell angetan und bereit, das Projekt zu unterstützen und die Kirche dafür zur Verfügung zu stellen. Trotz aller
Bemühungen seitens der Gemeinde, die Kinder- und Jugendarbeit sowie die Senioreneinrichtung voranzutreiben, hat der Kronenberg seine Lebendigkeit verloren“, sagt Pfarrer Andreas Mauritz, Leiter
von St. Jakob.
Vom Schüler bis zum Rentner machen viele mit
Mit dem Theaterstück hole man gerne ein Stück Kultur auf den Kronenberg. Den insgesamt rund 100 Beteiligten hat Christel Schäfer,
Leiterin des Kinder- und Jugendzentrums OT Kronenberg, ihre Räume gerne für die Probenarbeit zur Verfügung gestellt. Und sie spielt selbst mit. „Vom Schüler bis zum Rentner machen Jung und Alt
mit“, freut sie sich. Projekt A biete interessierten Aachenern die Möglichkeit, an einer spannenden Theaterinszenierung mitzuwirken und dabei die Arbeit eines professionellen Theaters
kennenzulernen.
Pfarrer Mauritz drehte einen der Videoeinspieler, mit denen Luca Fois das Theaterstück bereichert. „Darin geht es unter anderem um
das Thema Schicksal“, sagt der Pfarrer, der in der Kirche zum Wohle der Kultur einige Veränderungen tolerierte: Die großen, vom Künstler Ludwig Schaffrath geschaffenen Fenster sind derzeit
verhüllt, das ewige Licht wurde gelöscht, der Altar ein Stück verrückt. Auch einige Gottesdienste mussten verschoben werden, damit nun knapp 100 Zuschauer pro Abend in den ganz besonderen
Kulturgenuss kommen.
Die Improvisation nimmt viele Motive des antiken Dramas von König Ödipus nach Sophokles auf, wirft Existenzfragen auf. Die
Identitätskrise der „Kronenberger“, Fragen nach Schicksal, Identität, Heimat und Schuld beschäftigen die Menschen. Die Akustik in der Kirche ist beeindruckend und verleiht dem Stück über die
Lichtinstallation hinaus zusätzliche Ausdruckskraft.
Der „Hungerhügel“, wie der Kronenberg im Volksmund genannt wird, ist nach der Aufführung von Shakespeares „Romeo und Julia“ in der
ehemaligen Nadelfabrik am Reichsweg, Schillers „Die Räuber“ im Umspannwerk und Brechts „Baal“ in einem leerstehenden Eilendorfer Ladenlokal bereits die vierte Produktion im Rahmen dieser
außergewöhnlichen kulturellen Stadtteilarbeit.
Vorstellungen von „King‘s Fate“ sind am 10., 11., 24., 25., 29. und 31. Mai sowie am 1. Juni jeweils um 20
Uhr. Von Nina Krüsmann
Aachener Zeitung
28.09.2012
Lokales
Geschichte von Ödipus mit Öcher Akzent
„Projekt A“ will die berühmte Parabel vom griechischen König neu erzählen. Im Mittelpunkt soll dabei das Leben im „Schmelztiegel
Kronenberg“ stehen. Am Sonntag gibt es einen Infoabend im Mörgens. Weitere Akteure willkommen.
VON DANIELA MARTINAK
Aachen. Schicksal, Identität, Heimat, Gewalt. Die Geschichte von Ödipus, der als Kind ausgesetzt wurde und auf der Suche nach der
eigenen Zukunft stets in Generationenkonflikte verstrickt ist, wird im Frühjahr 2013 etwas anders aufgeführt unter dem Titel „König Ödipus auf dem Hungerhügel“. Denn die Bewohner des Stadtteils
Kronenberg können sich in gewisser Weise wohl mit dem griechischen König identifizieren.
Das jedenfalls stellen die Mitarbeiter des „Projekt A“ seit dem Frühjahr immer intensiver fest. „Das Viertel galt in den 60er
Jahren als Vorzeigeobjekt für das Zusammenleben unterschiedlicher Migrations- und Altersgruppen. Doch jegliche Infrastruktur bricht nach und nach zusammen“, erklärt Dr. Inge Zeppenfeld, auch
Chefdramaturgin am Theater Aachen. Ein halbes Jahr lang wird nun bereits rege Recherche betrieben: Interviews werden an den Haustüren geführt, Fragebögen an Einzelpersonen und Institute verteilt
und wieder eingesammelt. So kann sich das Team mit Theaterpädagogin Brigitte Köhr ein Bild über das Leben der Menschen dort machen. Jetzt sollen sie motiviert werden, Theater zu spielen. Dabei
dient die griechische Sage des Ödipus lediglich als Grundlage und Leitfaden.
„Wir gehen mit Menschen und Institutionen des Viertels auf Spurensuche. In der Kirche St. Hubertus, dem sogenannten Backenzahn und
Wahrzeichen des Kronenbergs, möchten wir mit den Menschen, die zu diesem Viertel eine Verbindung haben, Fragen nach Identität, Schicksal und Heimat erörtern“, erläutern Regisseur Martin Goltsch
und Lukas Popovic, ehemals Dramaturg am Theater Aachen, die die Idee zur Umsetzung des Projekts hatten. Inzwischen treffen sich bereits 25 Kronenberger regelmäßig, um sich auszutauschen oder
schon einmal zu improvisieren. „Wie das Stück genau abläuft und wie wir die Geschichte von Ödipus mit Kronenberger Akzenten versehen, ist noch ungewiss“, geben Goltsch und Popovic
zu.
In jedem Fall werden immer noch weitere Akteure gesucht, vorzugsweise Männer im Alter ab 20 Jahre. Diejenigen, die sich mit dem Stadtviertel identifizieren und Interessantes zu erzählen haben, sind am Sonntag, 30. September, um 15 Uhr herzlich eingeladen, im „Mörgens“ des Theaters (Mörgensstraße 34) vorbeizuschauen. „Das ist kein Casting oder so etwas“, versichern die Initiatoren, „es geht lediglich darum, einen Informationsabend, bei dem jeder seine eigene Geschichte erzählen denen der anderen lauschen kann. Alles andere ergibt sich von selbst.“